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Heimkehr – Malerei zeigt den Weg zum Leben
Text von Dr. Marina Linares, Kunsthistorikerin (März 2010)
Landschaftsmalerei, Stimmungsbilder, Farbkompositionen? – Die Bilder von Yuriy Ivashkevich lassen alle drei Aspekte anklingen. Sie sind in einem Schwebezustand zwischen festgelegten Gattungen gehalten, der äußeres Erleben, inneres Empfinden und abstraktes Gestalten vereint. Das Verbindende ist die Farbe, die zugleich Ausdrucksträger für Äußeres und Inneres, Gegenständliches und Abstraktes ist. Nicht nur in der Bildwirkung, in unserem Sinneserlebnis ist sie zentral, sondern auch im Schöpfungsprozess des Künstlers, denn Ivashkevic setzt in seiner ganz individuellen Maltechnik Farbwerte suggestiv und kontrastiv ein, die seine Ideen unmittelbar veranschaulichen.
Das Zeichnerisch-Lineare ist bewusst reduziert und schlägt sich nur als erster Impuls in der Bleistiftskizze nieder, die den Einfall fixiert, bevor er in mehreren kleinformatigen Farbstudien variiert und zur idealen Bildgestalt optimiert wird. Motiv, Grundstimmung, Farbe sowie Bildkomposition prägen den künstlerischen Gedanken, werden schließlich – vollendet im Großformat des endgültigen Bildes (Öl auf Papier) – malerisch ausdifferenziert und strukturiert. Gegenständliche Details finden wir wenige, finden nur Andeutungen, die unsere Assoziationen lenken: Schematisch tauchen Naturformen auf, lassen sich Landschaftsräume erahnen – kaum mehr als Andeutungen, die wir in unserer Vorstellung konkretisieren.
Wir erkennen weite, verschneite Ebenen, die sich teils frei bis zum Horizont erstrecken, teils von Wäldern oder Gebirgszügen begrenzt sind. Als Zeichen menschlicher Gegenwart in der sonst unberührten Natur sehen wir vor ihnen vereinzelte Häuser, ebenfalls von hohem Schnee bedeckt, der optisch alles vereint. Trotz des wiederkehrenden Schneemotivs sind nicht alle Bilder in Weiß-Schwarz geschaffen: Der Himmel, oftmals mehr als die Hälfte der Bildfläche einnehmend, dominiert die Szenen, verstärkt den Eindruck von Grenzenlosigkeit und Freiraum. Seine kräftigen Akzente rötlicher und blauer Farbtöne setzen der Eintönigkeit jener ruhigen Ebenen dynamische Belebung entgegen.
Dadurch erhält das Licht eine besondere Bedeutung, denn es prägt fundamental die Stimmung dieser Bilder. Das flutende Licht in rot-gelben Farben strahlt Wärme, Geborgenheit und Lebendigkeit aus – dagegen bewirkt das fehlende in den Nachtszenen sowie in den steilen Schluchten oder beengten Waldwegen, in denen kaum ein Stück Himmel zu sehen ist, bedrückende oder gar bedrohliche Bedrängnis. So wie der Maler innerhalb eines Bildes Kontraste der Farbe einsetzt (Hell-Dunkel- oder Wärme-Kälte-Polaritäten), differenziert er auch in der Bilderserie zwischen Tag und Nacht, sehnsuchtsvoller Weite und spannungsvoller Enge, optimistischer Aufbruchsstimmung und bedrückender Erstarrung.
Die Bandbreite innerer Gefühlszustände drückt Ivashkevic mit spezifischen bildne-rischen Mitteln aus. Schon die Landschaften sind so abstrahiert, dass wir sie auch als reine Farbkompositionen sehen können. Farbakkorde sind sehr fein nuanciert, lassen zugleich die Symbolkraft der Grundfarben (Rot, Blau, Gelb, Weiß, Schwarz) sprechen. Auch die Komposition trägt zum emotionalen Gehalt bei: der ebenenparallele Bildaufbau dreier oder zweier Horizontalebenen betont Ruhe, Weite und Freiheit – wogegen die spannungsgeladenen Bilder von Vertikalen oder sogar Diagonalen geprägt sind, und die dichten Tannen bzw. Felsmassive blockadenartig den Blick verstellen.
Gerade weil diese Bilder keine konkreten Abbildungen, sondern nur vage visualisierte Vorstellungen sind, kann sich jeder Betrachter gut einfühlen und seine eigenen Natur- und Gefühlserlebnisse mobilisieren. Die angedeutete Figur des einsamen Wanderers lädt zur Identifikation ein, lädt ein, sich in Gedanken selbst auf die Reise zu begeben. Romantisch ist diese Reise sowie ihre Motive (Wanderung, Wald, Mond, Morgendämmerung): Heimkehr – das Ziel dieser Reise ist nichts Ungewisses, Fremdes oder Bedrohliches, denn erwartet wird das Vertraute, Heimatliche, Geborgenheit schenkende. Der Weg ist das Sehnen, Suchen bzw. Finden; im Ziel verschmelzen Gegenwart, Vergangenes und Zukunft.
Die Serie zeigt verschiedene Zustandsformen zwischen Erstarrung und Erwärmung, Verdichtung und Lösung. Dabei findet sich das Motiv des Verdeckens sowie des Öffnens auf inhaltlicher wie auf formaler Ebene: So wie der Schnee die Landschaft bedeckt, legt der Maler Farbschichten auf – dynamische Bewegung, insbesondere im Farbenspiel der freien Himmelszone, materialisiert sich in Auflockerungen und Durchbrechungen jener Schichten. Yuriy Ivashkevich verwendet keine Pinsel, sondern Spachtel, Schieber, Walzen und eigens hergestellte Werkzeuge. Das Bild entsteht in der Synthese von Positiv- und Negativtechnik, von Farbauftrag und -abtrag, von Beschichtungen und Verwischungen, von pastosen Farbspuren und entfernenden Schraffuren.
Besonders Tauwetter, das gänzlich auf die Raumstruktur einer klassischen Landschaft verzichtet und farbige Flächen und Elemente als reine Ausdrucksmittel interagieren lässt, macht dem Betrachter die Eigendynamik der Farbe bewusst. Die Maltechnik schafft Über-deckungen, Abgrenzungen, Verschmelzungen und Durchsichten, die polarisierende Farbwerte unter- und nebeneinander existieren lassen – Polaritäten, die unserer seelischen Ambivalenz und Vielschichtigkeit entsprechen. Die Malerei setzt äußeren Landschaftsraum und inneren Gefühlsraum über das Medium Farbe in Beziehung, weist über unsere Wahrnehmung und Empfindung der Natur auf uns selbst, auf unser eigenes Erleben und Leben.