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Rede des Autors Thomas Berger zur Vernissage der Ausstellung Der Weg zum Horizont von Yuriy Ivashkevich
am 9. Februar 2019 im Schloss Philippsruhe in Hanau
Sehr verehrte Damen und Herren,
seien Sie herzlich willkommen in der neuen Ausstellung des Künstlers Yuriy Ivashkevich. Der Weg zum Horizont − welch ein beziehungsreicher Titel!
Der Horizont − ein im 17. Jahrhundert aus dem Griechischen entlehntes Wort − ist die uns allen bekannte scheinbare Grenzlinie zwischen Erde und Himmel, Meer und Firmament. Als solche ist sie ein der Natur zugehöriges Phänomen, an dem die menschliche Sehkraft ihre Begrenzung erfährt − der Horizont als Endkreis.
Früh schon wurde der Begriff in übertragener Bedeutung verwendet. So sprach beispielsweise der Königsberger Philosoph Immanuel Kant von der „Bestimmung des Horizonts unserer Erkenntnisse“. (1) Und auf dieser Bedeutungsebene liegt Yuriy Ivashkevichs Ausstellungstitel. Denn der Horizont symbolisiert für ihn das Ferne, Verborgene, Unsichtbare − das, was er als größtmögliche künstlerische Höhe erreichen möchte. Sein malerisches Schaffen begreift er als Weg zum Ziel seiner Sehnsucht. Auch die heute eröffnete Ausstellung ist ein Schritt auf seinem Weg − wir können auch sagen: auf seinem Lebensweg.
Denn Yuriy Ivashkevichs Herz begann bereits mit 14 Jahren für die Kunst zu schlagen. Der 1963 in Karaganda, Kasachstan, geborene Künstler besuchte als Jugendlicher vier Jahre lang die Kinderkunstschule in Soligorsk, Weißrussland, wohin die Familie gezogen war. Nach der Schulzeit studierte er an der künstlerisch−grafischen Fakultät der pädagogischen Hochschule in Vitebsk. Mit dem Diplom als Kunstlehrer schloss er die Ausbildung 1986 ab. Auch in seiner zweijährigen Militärzeit in Debrezen, Ungarn, war er künstlerisch aktiv: Er gestaltete im Auftrag seiner Dienststelle Verlautbarungen. Für kurze Zeit unterrichtete er dann an der Kunstschule für Kinder in Soligorsk. In den Jahren 1990 bis 1996 studierte er monumental−dekorative Kunst an der Staatlichen Kunstakademie in Minsk, der weißrussischen Hauptstadt. Er schloss sein Studium als Diplom−Kunstmaler ab. Von 1996 bis 2001 wirkte er als Dozent für Zeichnen in der Minsker Kunstakademie.
Mit seinen eindrucksvollen Bildern hatte er sich inzwischen einen Ruf als ausgezeichneter Kunstmaler erworben, so dass er sich entschloss, fortan als freischaffender Künstler zu leben. Durch die Belarussische Künstlervereinigung konnte er in einem eigenen Atelier arbeiten. Seine Bilder verkauften sich in Weißrussland, West−Europa, Kanada und den USA. 2004 folgt er seiner nach Deutschland ausgereisten Ehefrau. Er lebt in Kelkheim (Taunus), sein Atelier befindet sich in Frankfurt−Höchst.
Der Weg zum Horizont − betrachten wir die in der Remisengalerie dargebotenen mittel− und kleinformatigen Exponate des gegenwärtigen Abschnitts auf dem Lebenspfad zu seinem Ziel. Yuriy Ivashkevich widmet sich der Natur, malt Landschaften. Was wir sehen, sind keine realistischen Abbildungen. In den von ihm frei geschaffenen Formen und Farbkompositionen verarbeitet der Künstler eigene Erfahrungen, Stimmungen, Eindrücke. Diese Bilder im Kopf, diese Erinnerungen transformiert er mit Spachteln, Walzen und Rakeln auf grundiertes Papier. Nur für die Signatur verwendet er den Pinsel. So vermag er lasierend zu arbeiten oder große Flächen pastos, also reliefartig, zu gestalten. Wer Yuriy Ivashkevichs originelle Arbeitsweise kennt, weiß, dass sie technischer Perfektion verpflichtet ist und dennoch beim Betrachter den Eindruck von Leichtigkeit zu erwecken versteht. Seine immer wieder erfolgende „Zwiesprache mit der Natur“ (2), mit dem Elementaren reicht von Kindheits− und Jugenderlebnissen in Belarus − Wälder, Seen, einsame Weiten − über die Wahrnehmung der ungarischen Landschaft bis hin zu den Impressionen seiner Aufenthalte in Südeuropa, zum Beispiel als Residenzstipendiat in Andalusien 2013.
Yuriy Ivashkevich, der bereits auf zahlreiche Einzelausstellungen im In− und Ausland seit 2002 zurückblicken kann, Mitglied mehrerer Künstlervereinigungen ist, seit 2013 an jährlich stattfindenden Künstler−Symposien teilnimmt und Malkurse in Deutschland und Italien leitet, wandelt auf einem ganz persönlichen malerischen Pfad zwischen Realismus und Abstraktion, Wirklichkeitstreue und Fiktionalität − beide Darstellungsweisen möchte er in ein Gleichgewicht bringen. Mit seinem individuellen Malstil entwickelt er die ihm vertrauten Elemente klassischer Malerei virtuos weiter. Für seine Werke trifft zu, was die deutsch−französische Malerin Lou Albert−Lasard in die Worte kleidete: „Ich möchte, daß in meiner Malerei die Dinge da und gleichzeitig nicht da seien; ich möchte, daß sie lediglich auftauchten aus dem, was sie geheimnisvoll verbindet.“ (3)
In Yuriy Ivashkevichs wunderbaren Ölbildern mit Passepartouts und hinter Glas begegnen wir imaginären Landschaften mit angedeuteten Tiefen. Die Farbaufträge sind im Vordergrund stärker, die Formen werden im Hintergrund zunehmend kleiner, so dass eine perspektivische Raumwirkung entsteht − der Weg zum Horizont.
Gegenstände, sofern sie überhaupt vorhanden sind, erscheinen nur in Andeutungen. Es steht uns frei, im Blau den Himmel, im Braun oder dem Weiß des Winters den Erdboden, in Violett− und Rottönen die Zeiten der Dämmerung zu imaginieren. Die Bilder erwachsen aus einem dynamischen Prozess, sie entstehen, wie die Kunsthistorikern Marina Linares schreibt, „in der Synthese von Positiv− und Negativtechnik, von Farbauftrag und −abtrag, von Beschichtungen und Verwischungen, von pastosen Farbspuren und entfernenden Schraffuren“. (4) Diese malerische Vorgehensweise, dieses Bildgeschehen, spiegelt sowohl die natürlichen Veränderungen in der Landschaft, also in der Außenwelt, als auch die wechselnden Empfindungen und Assoziationen, Stimmungen und Träume angesichts der Natur, deren Geschöpfe wir sind.
Es ist die Intention des Malers, dass sich sein meditatives, zuweilen melancholisches Gespräch mit Landschaften und Jahreszeiten im Dialog zwischen Betrachter und Bild fortsetzt. Yuriy Ivashkevich, ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Kelkheim (Taunus) und dem Kunstpreis der Stadt Weilburg, lädt uns alle herzlich ein, ihn auf seinem Weg zum Horizont ein Stück weit zu begleiten und im eingehenden Betrachten der Werke über eigene Wahrnehmungen und Empfindungen nachzusinnen.
Ich danke Ihnen.

Quellen:
(1) Immanuel Kant‘s Werke, Gesammtausgabe in zehn Bänden, Erster Band, Leipzig 1838, Seite 365
(2) Yuriy Ivashkevich, zit. nach: Dr. Beate Matuschek, Einführung zur Ausstellung „Heimkehr“ von Yuriy Ivashkevich, 15. April 2010
(3) Lou Albert−Lasard, Wege mit Rilke, Frankfurt am Main 1985, Seite 110
(4) Dr. Marina Linares, Heimkehr − Malerei zeigt den Weg zum Leben. Bilder von Yuriy Ivashkevich, März 2010